31.07.2013

Introvertierte Menschen auf Stellensuche
Braucht die Welt wirklich nur offensiv auftretende Leute, die jeden zu quatschen???

Vor Jahren bin ich schon mal gefragt worden, was denn introvertierte Menschen tun könnten. In Stellenanzeigen würde immer nur nach extrovertierten Menschen gesucht. Nun bringt mich ein Beitrag in der Zeit vom 18.07. („Auf die leise Weise“, S. 65) dazu, hier über das Thema zu schreiben. 

Zunächst einmal die Beschreibung dessen, was introvertiert sein bedeutet. Diese Menschen verhalten sich leise und zurückhaltend, denken länger nach, bevor sie etwas sagen, melden sich in Diskussionen selten oder nur auf Nachfrage zu Wort. Sie sind aber deswegen nicht unbeteiligt oder uninteressiert. In Gegenwart vieler anderer Menschen fühlen sie sich nur schnell unwohl und empfinden Tage, an denen sie sich ständig mit anderen austauschen müssen, anstrengend und ermüdend. Während für extrovertierte Singles ein Wochenende ohne Programm mit Freunden eher belastend ist, genießen Introvertierte nach einer vollen Arbeitswoche die Wochenenden ohne viele Kontakte und können viel Zeit mit sich selbst verbringen. Leben sie mit extrovertierten Partnern zusammen, kann es schon mal zu Konflikten kommen über das Maß an Zeit, das man mit Freunden und Bekannten verbringt oder eben nur zu zweit ist.

Der Arbeitsmarkt scheint tatsächlich auf den ersten Blick Menschen zu bevorzugen, denen es leicht fällt, schnell in Kontakt mit anderen zu kommen, gut und gerne zu kommunizieren und überzeugend sich und die eigene Arbeit zu präsentieren. Hinter diesem Wunsch versteckt sich aber keineswegs das Idealbild von Selbstdarstellern und Blendern. Eine überzogene Extrovertiertheit wirkt sich in Unternehmen eher nachteilig aus, da viele gute Impulse anderer durch solche Verhaltensmuster unterdrückt werden und das Betriebsklima leidet, wenn Selbstdarsteller und Blender sich durchzusetzen verstehen.

Die o.g. Anforderungen sollten vielmehr auch von introvertierten Menschen erfüllt werden können, wenn sie sich über die Notwendigkeit einer erfolgreichen Kommunikation im Klaren sind und sich auf die Felder konzentrieren, in denen sie gut kommunizieren können. In aller Regel stehen dann Sachthemen im Vordergrund. Oft werden gute und belastbare Beziehungen aufgebaut, weil Vertrauen geschaffen werden kann. Extrovertierten Menschen fällt die innerbetriebliche Kommunikation vielleicht leichter, sie setzen sich in Meetings besser durch und sind eher geeignet, wenn Positionen mit intensivem Kundenkontakt gesucht werden. Aber introvertierte Menschen haben immer dort ihre Stärken, wo es um konzeptionelles Arbeiten geht, wo Dinge sorgfältig geplant werden müssen oder wo Innovationen und Entwicklungen hervorgebracht werden sollen. Wenn introvertierte Menschen ihre Arbeit so planen können, dass sie Ruhephasen für sich vorsehen und Rückzugsgelegenheiten nutzen, können sie nicht nur selbst erfolgreich sein sondern auch Teams zu Erfolg führen. Wie das in der Zeit vorgestellte Beispiel zeigt, sind sie gute Chefs für Mitarbeiter, die selbst viel Eigenverantwortung übernehmen und Freiräume schätzen.

Genauso wie eine überzogene Extrovertiertheit Probleme bereitet, stoßen introvertierte Menschen an Grenzen. Ohne Kommunikation mit anderen sind Arbeitsprozesse nicht mehr denkbar. Auch Entwickler und Forscher arbeiten in Teams, kollaborieren mit anderen und müssen sich austauschen. Steht die eigene Introvertiertheit diesen Arbeitsformen im Weg oder bestehen Ängste vor dem Zusammentreffen mit anderen, so sollte das Gespräch mit professionellen Beratern oder Therapeuten gesucht werden. Dabei dürfte es sich jedoch um sehr, sehr seltene Ausnahmen handeln. Mir sind bisher keine begegnet.  


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