22.01.2014

Haben Extrem- oder Leistungssportler wirklich Botschaften für Wissenschaftler und Manager?
(Ein persönlicher Erfahrungsbericht)
Gerne gebe ich zu, dass mir ein spontanes „Ja“ auf diese Frage etwas schwer fällt, klingen doch viele dieser Botschaften sehr pauschal und platt. Natürlich kann man von Sportlern Ehrgeiz, Fleiß, Wettbewerbsorientierung, Disziplin u.ä. lernen – sicher nützliche Dinge für jeden, der weiter kommen will, letztlich aber nicht wirklich ausgefallene Eigenschaften. Nur dass Sportler von allem etwas mehr als der Durchschnitt besitzen. Vorträge oder Texte von Sportlern, die sich an Berufstätige jedweder Art wenden, fand ich daher zwar mitunter ganz amüsant, am Ende aber haben sie mich nicht wirklich bewegt. Jetzt habe ich jemand gehört, bei dem es anders war – die Bergsteigerin Helga Hengge. Sie hat sich drei Jahre lang auf die Besteigung des Mount Everest vorbereitet und ist oben angekommen. Was so leicht klingt, war ein mühevolles zweimonatiges Abenteuer, in dem ständig auf- und wieder abgestiegen wird, um Lager aufzubauen, wieder runter zu steigen, wieder aufzusteigen, im ersten Lager zu übernachten und am nächsten Tag das nächste Lager aufzubauen u.s.w. Das alles passiert nicht nur aus logistischen Gründen sondern auch, um den Körper an die Höhe und den Sauerstoffmangel zu gewöhnen für den einen großen Augenblick auf dem Dach der Welt. Helga Hengge steckt in ihrem Vortrag geradezu an, ihrer Begeisterung, ihrem Respekt und ihrer Liebe zu diesem großen Ziel zu folgen. Es scheint, dass genau diese Mischung notwendig ist, wenn man Großes erreichen will. Und da sehe ich durchaus Parallelen zu wissenschaftlichen Zielen wie zu anderen beruflichen Herausforderungen. Wo ist der Moment, in dem Menschen Glanz in die Augen bekommen? Für Standortbestimmung und Profilbildung sind das ganz wichtige Themen. Im Weiteren macht Helga Hengge in sehr persönlichen Ausführungen deutlich, wie sie sich motiviert hat bzw. wie sie bewusst die Nähe der Menschen gesucht hat, die sie motivieren konnten. Das konnte der erfahrene Expeditionsleiter sein, der ihr sagte, sie dürfe aufgeben aber das solle sie erst dann tun, wenn sie ganz sicher sei, ihr Bestes gegeben zu haben. Das waren aber genauso die Sherpas mit ihrer Erfahrung und Gelassenheit, die ohne ein Wort Englisch zu sprechen, Verständnis signalisierten und im richtigen Moment lächelten. Im beruflichen Kontext halte ich es für eine ganz wichtige Fähigkeit, sich die Menschen zu suchen, die uns weiter bringen, in dem sie fordern und ermuntern, egal ob Mentoren, Kollegen oder externe Ratgeber. Völlig irrig ist die Annahme, alles selbst und alleine bewältigen zu müssen. Für Helga Hengge ist dieses „sich gegenseitig aufbauen zu können“ der Grund, warum sie viel Wert auf ein gutes Team legt und ihr wichtig war, dass der Expeditionsleiter für eine gute Entwicklung im Team sorgt. Und schließlich schildert sie sehr authentisch, dass man sowohl den Erfolg als auch den Abbruch eines solchen Vorhabens vorher genau durchdenken muss. Nur, wer sich vorstellen kann, in dem Moment, in dem er merkt, wenn ich jetzt nicht umkehre, schaffe ich es nicht mehr zurück, auch wirklich umzukehren, kommt lebendig wieder nach Hause. Denen, die sich das nicht vorgestellt haben, gelingt der Rückweg häufig nicht. Am Mount Everest verliert man sein Leben beim Abstieg, nicht beim Aufstieg. Für Helga Hengge war ein Leitgedanke bei ihren Vorbereitungen, ihr Bestes zu geben, aber auch aufhören zu können, wenn sie erkennt, dass ihre Kraft nicht bis zum Gipfel und wieder zurück reicht. Etwas, was andere möglicherweise als Scheitern empfinden, war für sie eine Frage der Vernunft und der Gewissheit, wieder nach Hause zu wollen. Im Berufsleben generell aber vor allem in dem von Wissenschaftlern hilft dieser Gedanke an Abbruch oder Umkehr ganz sicher, um sich vor dem Verrennen zu bewahren. Einmal die Konsequenzen durchzudenken, nimmt den Schrecken und lässt zu, dass Stolz auf das Erreichte übrig bleibt. Am Ende komme ich zu dem Schluss, dass Sportler sehr wohl Botschaften für andere haben. Am glaubwürdigsten sind sie aber gerade dann, wenn nicht antreten, um Botschaften zu verkünden sondern wenn sie authentisch von ihren Erfahrungen berichten.
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